Reinhold Messner im Gespräch- Flo Scheimpflug und Hati Finsterer 2014
EDIT 2024 zum 80er von Reinhold Messner
Dass ich ein Messner Fan Boy bin haben einige in langen Diskussionen erleben müssen, und ich steh dazu.
Der - mit Walter Bonatti- größte Abenteurer des 20.Jahrhunderts, hat nie den Diskurs gescheut und war mit seinen Ideen und Abenteuern einer der großen Wegbereiter des modernen Alpinismus. Ich wünsche Dir lieber Reinhold das Allerbeste zum 80er!
Hati Finsterer , 17.09.2024
Besuch im Messner Mountain Museum in der Nähe von Bozen. Ein sehr entspannter Reinhold Messner beendet noch seine Besprechung mit ein paar Freunden am Mittagstisch – unterbrochen von Besuchern, die sich für das Museum bedanken und ein paar Erinnerungsfotos machen. Wir nehmen einstweilen am Nebentisch Platz und betrachten vom Gastgarten aus das durchaus leben- dige Treiben an diesem frühen Nachmittag im Museum Firmian.
Nach wenigen Minuten sitzt unser Gesprächspartner neben uns am Tisch, betrachtet interessiert den ALPS Sommerkatalog, um wenig später mit einem „... ja der Paul Preuß“ seine Sicht der Dinge zum Absturz von Paul Preuß zu berichten. Und dann beginnt ein spannendes Gespräch unter begeisterungsfähigen Alpinisten über die Vergangenheit und Zukunft des modernen Bergsteigens.
Herr Messner, wir sind hier in Ihrem Mountain Museum in Firmian. An diesem Standort steht ja das Thema Mensch und Berg im Vordergrund. Wie sehen Sie diese Auseinandersetzung im modernen Bergsteigen?
Ich mache jetzt –Eröffnung 2015- ein letztes Museum zum „traditionellen Alpinismus“. Und ich mache das nur, weil der traditionelle Alpinismus unter Druck geraten ist bzw. Gefahr läuft, verloren zu gehen. Weil viele Leute nicht mehr wissen, was das ist. Klettern ist Sport geworden.99 % der Leute klettern nicht mehr im Gebirge. Sie klettern in der Halle und an Sportkletterwänden, die eingebohrt, also präpariert sind. Wenn ich in Arco unterwegs bin und in die Wände schaue, sehe ich sie nur ganz unten an eingebohrten Routen. Es klettert niemand mehr im Gelände: Wo ich selber die Routen suchen muss, wo ich selber absichern muss, wo ich im Idealfall nicht einmal eine Beschreibung habe. Andere machen Wettläufe. Alle Magazine, die ich durchschaue – da laufen alle, sie hüpfen durch die Wände, sie rennen den Berg hoch – alles Sport!
Nun haben Sie ja mal den Ausdruck des „Pistenalpinismus“ geprägt. Immer mehr Menschen versuchen auf perfekt präparierten Wegen ihr Abenteuer zu erleben. Wo ist jetzt für Sie der Übergang vom Pistenalpinismus, wo ein hohes Maß an Selbstverantwortung an irgendjemanden delegiert wird – vor allem durch Infrastruktur – hin zum „selbstbestimmten Alpinismus“?
Einfach wenn ich dort hingehe, wo die anderen nicht sind, wo es keine Infrastruktur gibt. Nichts gegen den Sport und den Pistenalpinismus, der nur kritisierbar ist, weil er klassischen, selbständigen Berg- steigern eine Möglichkeit nimmt.
Sie haben ja die Verhältnisse im Himalaya oft kritisiert. Bei uns sind es eher die Massen an den Klettersteigen, die ohne Ausbildung und mit mangelhafter Ausrüstung sich selbst und andere gefährden. Ist das eine Frage der Ethik im Bergsteigen?
(lacht und zeigt uns seine Hände) Ich hab grad einen Klettersteig gemacht vor drei Tagen. Gegenüber von unserem Schloss ist ein Klettersteig gebaut worden, sehr steil, ich bin ihn ohne Handschuhe gegangen und hab mir gleich ein bisschen die Haut aufgerissen. Also, ich geh das auch. Aber ich gehe das einfach, weil ich was tun und nicht einfach nur herumsitzen will. Es ist aber was anderes als klassisches Bergsteigen. Mein Respekt gilt in erster Linie dem selbstbestimmten, selbstverantworteten Bergsteigen – das ist vielleicht der richtige Ausdruck: das selbst- verantwortete Tun!
Nun ist ja Selbstverwirklichung das geläufigere Wort als Selbstverantwortung...
Selbstverantwortliches Bergsteigen ist die Königsdisziplin. Sicher.
Ich behaupte, das Größte was Du beim Bergsteigen haben kannst, ist Erfahrung über Dich selber. Über Menschennatur.
Einer Ihrer – zumindest für uns bei ALPS – wichtigsten Artikel war ja der „Mord am Unmöglichen“. Diese Streitschrift war ein Katalysator im Bereich des modernen Freikletterns. In der Preußchen Tradition lehnten Sie ja den Bohrhaken damals komplett ab.
Es war eine wichtige philosophische Frage für mich. Wie ist das Abenteuer am Berg am Leben zu halten? Die Philosophie dahinter ist: wenn ich alle technischen Geräte einsetze, die die Technologie heute hergibt, dann gibt‘s im Bergsteigen kein unmöglich, kein Abenteuer mehr. Dann wird alles Sport. Es ist der freiwillige Verzicht – nicht aus ethischen Gründen, sondern um Erfahrungsmöglichkeiten zu erhalten – den ich in den Mittelpunkt stelle. Ich behaupte, das Größte was Du beim Bergsteigen haben kannst, ist Erfahrung über Dich selber. Über die Menschennatur. Und wenn ich Bohrhaken schlage, dann gibt‘s im Fels kein „Unmöglich“ mehr, dann gibt‘s keine Ungewissheit, zuletzt kein Abenteuer mehr.
Nun schaut ja die Realität so aus, dass der Bohrhaken aus dem modernen Sport- und auch Alpinklettern nicht mehr wegzudenken ist.
Ich habe letztlich Einiges dazu geschrieben. Ich sage heute: Der Bohrhaken ist im heutigen Kletterlevel unverzichtbar, wenigstens am Standplatz. Da und dort auch als Zwischenhaken. Aber nicht aus ethischen Gründen, weil die Schwierigkeiten so gestiegen sind, dass in diesen Steilheiten, dieser Glattheit der Wände vielfach keine Ritze und keine Möglichkeit der Sicherung da ist. Entweder verzichten wir dann alle auf diese Möglichkeiten oder der heutige Akteur wird da und dort einen Bohrhaken setzen müssen, um Zwischensicherung zu haben oder eine Standplatzsicherung zu bauen. Ich habe nichts dagegen. Aber ich bin absolut dagegen, dass man alte klassische Routen, die alle normal abgesichert wurden – sogar noch ohne Friends und Keile – mit Bohrhaken ausstattet. Nur weil man aus der Civetta Nordwestwand eine Art Klettersteig machen will. Früher oder später wird mit dieser Methode alles zu Klettersteig. Mir geht‘s dabei nicht um die Ethik, sondern um das Erlebnis, das das größtmögliche für den Menschen sein soll.
Womit wir mitten in einer Ethikdiskussion sind...
Da bin ich ganz anderer Meinung. Ich kann den Ausdruck „Ethik“ nicht hören. Weil es diese nie gegeben hat und eine solche auch nichts mit dem Alpinismus zu tun hat. Was ist Ethik? Vielleicht müssten wir zuerst den Begriff definieren.
Ich hoffe, ich habe in meinen Artikeln das Wort „Ethik“ nicht missbraucht. Bei „Moral“ bin ich sowieso vorsichtig, „Moral“ haben die Kirchen gepachtet. Aber auch eine Ethikdiskussion scheint mir beim Bergsteigen momentan nicht zielführend zu sein. Die neue Generation von Bergsteigern und Alpinisten haben eh einen sachlichen Zugang zum Berg.
Wobei es für uns bei ALPS schon wichtig ist, unseren Gästen eine gewisse Art des Bergsteigens oder der Herangehensweise zu vermitteln. Wir wollen die Leute schon dort abholen, wo sie persönlich stehen und ihnen vermitteln, welche Möglichkeiten offen stehen beim Bergsteigen und Klettern.
Ich find‘ das schon richtig. Die Leute gehen heute in die Halle. Sie klettern in der ersten Woche 6. In der zweiten Woche 7. Nach einem Jahr klettern sie 9. Die wenigen, die heute noch raus gehen aus der Halle und sich wirklich bemühen, haben ein enormes Kletterniveau. Nur fehlt ihnen – zumindest am Beginn – Erfahrung, das Gespür für die richtige Linie und den Fels und das Wetter.
Ich kenne das vom Klettern mit meinem Sohn. Wir steigen in eine Route im 5. Grad ein, er steigt vor und klettert dahin. Wenn’s zum Suchen wird, dann sage ich: da geht es sicher nicht hinauf. Ich kann das zwar nicht mehr vorsteigen, aber ich sehe zumindest die Linie. Dann sagt er: wenn da weiße Flecken sind, dann stecken Haken! Und ich sag: Das ist kein 5er mehr, das ist ein 7er oder 8er. Das kann ich aber nicht mehr. Die Route geht anders. Wir finden dann immer eine Lösung und inzwischen hat er viel Erfahrung die er in den Routen, die wir geklettert sind, gemacht hat. Sie fehlt vielen Hallenkletterern einfach.
Wir denken nur, dass ein Umstieg von der „Piste“ in die Wildnis möglich ist. Da wollen wir unsere Gäste begleiten und diese Entwicklung einfach fördern.
Ich habe das in meiner Schule früher auch so gemacht. Es gilt, den Leuten vom Beginn an ein hohes Maß an Selbstverantwortung beizubringen.
Aber so prinzipiell: Sie haben ja auch mit Leuten zu klettern begonnen, die – wir nennen sie einmal Mentoren – die Ihnen das sozusagen weiter vermittelt haben. Die gesagt haben: Reinhold, das ist vielleicht nicht gut, machen wir das lieber so, oder was auch immer, ja. Wer waren die Leute, die da wichtig waren für Sie und was haben die Ihnen mitgegeben?
Also, ohne diese Mentoren – das ist der richtige Ausdruck – wäre ich nicht am Leben geblieben. Wir sind völlig naiv ins Dolomitenklettern hinein gewachsen. Bis zur Furchetta Nordwand mit 18. Ein klassischer 6er aus den 20er Jahren. Das alles war von daheim aus möglich. Mit zu Fuß hingehen und dann hinauf steigen.
Wenn wir gestürzt wären – ich bin noch mit Hanfseilen geklettert – kann ich nicht garantieren, dass die Sicherung gehalten hätte.
Also learning by doing – mit hohem Einsatz...
Sicher. Es ist eine brüchige Tour, eine große Tour, 800 Meter, fast alles Freikletterei, leichte Seillängen, oben schwierige Seillängen und sehr exponiert. Wenn ich zurückdenke: Wenn ich gestürzt wären, ich kann nicht garantieren, dass die Sicherung das gehalten hätte. Es hat uns Erfahrung im Absichern und Standplatzbauen gefehlt. Aber ich bin nicht gestürzt, durfte nicht aus der Wand fallen.
Und wir hatten sehr viel Instinkt. Wir sind hunderte von klassischen 3er, 4er und 5er Touren geklettert. Weil wir so früh angefangen haben. Ich habe mit 5 Jahren meinen ersten 3.000er – auch ein Klettersteig (allgemeines Lachen) – gemacht. Und dann hat sich das entwickelt.
Wenn ich damals den Sepp Mayerl nicht kennengelernt hätte, der mir bei den ersten gemeinsamen Touren – da war ich 18 – gesagt hat, das geht so nicht, das hält so nicht, wäre mein Leben noch gefährlicher gewesen. Am Beginn hat er die schwierigen Seillängen geführt. Nach fünf, sechs Touren hat er gesagt: jetzt gehst Du voraus!
Auch in den schwierigen Seillängen. So habe ich lernen können und bald die Leadership übernommen. Bei vielen Erstbegehungen. Er hat höchstens gerufen: Bevor Du nach rechts kletterst, bring einen Zwischenhaken unter! Damit habe ich am meisten gelernt und so ist auch mein Selbstwertgefühl gewachsen. Nicht nur weil ich von den Besten gelernt hatte, auch weil ich gemerkt habe, dass ich instinktiv zum Beispiel in der Routenfindung besser war als die Stadtkletterer.
Vielleicht nur weil ich so viele leichte Routen geklettert war. Die Routenfindung ist bei leichten Touren schwieriger. In der Nordwand der großen Zinne brauch ich die Routenfindung nicht beherrschen. Da seh ich überall die alten Haken, da ist eine Rissreihe, anders geht‘s gar nicht. Links ist alles überhängend. Rechts ist es überhängend.
Es geht nur dort. Ich bin ganz überzeugt davon: wenn jemand nicht die gesamte Entwicklung – die gesamte Kletter-Entwicklung, die Entwicklung des Bergsteigens von 1786 bis heute nachmacht – wenn jemand das nicht zu seiner Entwicklung macht, dann wird er nie ein Spitzenbergsteiger.
Nur die neue Generation erledigt diese Stationen heute im Schnelldurchlauf. Siehe David Lama oder Ueli Steck. Wir denken es gibt wieder einen regen Zulauf zum klassischen Alpinismus.
Das „traditionelle Bergsteigen“ bleibt die Königsdisziplin und Ueli Steck hat sie intus, David Lama ist auf den besten Weg, Hansjörg Auer steht im Zenit von Erfahrung, Können und Ausdauer. Mit möglichst wenig Mitteln in großer Exponiertheit große Schwierigkeiten bewältigen! Was sie versucht haben am Masher- brum. Wenn das 2015 gelingt, ist es der Status Quo des heutigen Bergsteigens. Wenn‘s gelingt. Und wenn nicht, bleibt es als Ziel.
Letztendlich ist ja diese Bergsteigerelite ja auch eine Tourismuselite. Mit jedem Bericht und jedem Film, der von der extremen Unternehmung veröffentlicht wird, steigt natürlich die Begehrlichkeit der Durchschnittsbergsteiger. Sie sind ja in der Vergangenheit immer als Vorreiter für einen ver- nünftigen Bergtourismus eingetreten. Sind nicht verschiedene Bergpisten schon so überlaufen, dass Alpinismus dort gar nicht mehr möglich ist?
Natürlich. Das ist mittlerweile ein eigenes Thema geworden. Von der Liftgesellschaft, die ein Problem mit den Skitourengehern haben, bis zu den Sherpas am Everest. Der klassische Alpinist abseits der Aufstiegspisten wird vielfach als Eindringling wahrgenommen, der das Business stört.
Wir kommen im Grunde jetzt zum Steck-Moro-Griffith Streit von vorigem Jahr. Wenn ich zum Everest will, als traditioneller Alpinist, oder als selbstständiger Alpinist – das ist im Grunde der richtige Ausdruck, der selbstständige Alpinist. Dann habe ich alle Verantwortung selber und versuche, da irgendwo rauf zu kommen. Wenn jetzt aber die Route, die ich machen wollte, zur Piste ausgebaut wird, kann ich meinen Alpinismus nicht mehr machen.
Und das ist genau die Auseinandersetzung, die es voriges Jahr am Everest gegeben hat. Als Steck und Moro dort hoch gestiegen sind, ins Lager 3, um sich zu akklimatisieren, haben sie die Sherpa-Kolonne, die die Piste gebaut hat, überholt. Und die Sherpas haben gesagt: Was tut ihr denn da? Und die haben gesagt: Wir machen unseren Alpinismus. Und die Sherpas haben gesagt: Wie denn? Ihr habt weiter unten unsere Piste benutzt. Habt ihr nichts dafür bezahlt? Ihr habt uns nicht einmal gefragt. In Wirk- lichkeit ist dieser Streit ein deutliches Zeichen an die Alpinisten – ihr habt hier auf unserem Berg nicht zu suchen. Ihr stört nur unsere Arbeit als Wegbauer für die Pistengeher.
Wir haben nicht vor unsere Gäste auf den Everest zu schleppen. Das kann nicht unser Anspruch sein. Es wäre auf den Routen, die uns interessieren würden, ein unkalkulierbares Risiko, dem wir uns sicher nicht mit unseren Gästen aussetzen. Was bedeutet für Sie eigentlich Sicherheit beim Berg- steigen?
Sicherheit hat nur zu tun mit Erfahrung, Können, auch mit Selbstwertgefühl. Und mit Wissen-was-ich- tue. Ich teile nach wie vor den Grundsatz von Paul Preuß, den ihr ja auch hoch in Ehren habt: „Das Können ist des Dürfens Maß.“ Wenn ich nur das mache was ich kann, dann bin ich sicher. Wenn ich über das hinaus gehe, was ich kann, bin ich unsicher und brauche eine Sicherung. Solange ich sicher bin, brauche ich keine Sicherung. Natürlich ist überheblich, was ich sage, weil es gibt am Berg immer das Unberechenbare – eben Eis- oder Steinschlag oder die menschliche Unzulänglichkeit. Es können Konzentrationsschwächen passieren oder man macht irgend einen Fehler. Wir Menschen sind Menschen. Die allermeisten aber nehmen die Sicherung nur, weil sie das, was sie machen, nicht können. Ein perfekter Alpinist könnte alles alleine machen. Und Preuß hat das ja versucht. Natürlich wurde seine Haltung konterkariert durch seinen Absturz. Denn dann ist klar geworden, auch er hat Fehler gemacht. Auch er war nur ein Mensch.
Sicherheit hat zu tun mit Erfahrung, Können auch mit Selbstwertgefühl.
Wir sind mit unseren Gästen sowieso fast immer mit einer erheblichen Sicherheitsreserve unterwegs. Wir halten da wenig davon Leute ständig am Limit zu bewegen.
Das teile ich 100 %ig. Aber trotzdem: jeder Kletterer und vor allem auch jeder klassische Bergsteiger weiß: „Du kannst nicht alles 100 %ig im Griff haben.“ Sonst wären wir keine Menschen, sondern göttliche Wesen. Sind wir aber nicht... Der Bergführer hat deshalb die Verpflichtung, sich und seine Leute weiter abzusichern, da er ja nie weiß, wie sein Klient am Limit reagiert.
Ja das ist richtig. Für uns ist es oft schwierig, beim eigenverantwortlichen Bergsteigen mit Kollegen dann wieder unser persönliches Limit kennenzulernen und auszuloten, da wir ständig diese Sicherheitsreserve einkalkulieren. Wie ist es Ihnen da beim Führen gegangen?
Das ist eine interessante Frage. Wenn ich als Bergführer gehe, teile ich mit meinen Klienten die Gefahr, das Risiko, aber ich muss den allergrößten Teil davon übernehmen. Deswegen wird ein Bergführer immer ein Mehr an Sicherung einbringen, Umsicht, die er für sich allein nicht bräuchte. Ich bin auch der Meinung, ein guter Bergführer, wenn er viel führt, verliert die Fähigkeit, wirklich extrem zu agieren im obersten Bereich. Weil er immer auf den Gast achtet und anders empfindet als der extreme Bergsteiger.
Wenn ich sage, mein Partner und ich, wir teilen uns die Verantwortung halbe-halbe, dann ist das normal. Wir gehen dann mal die Hälfte der Wand seilfrei. Das riskieren wir, das machen wir. Peter Habeler und ich sind fast die ganze Gasherbrum Nordwand seilfrei gegangen. Wenn jeder weiß, der andere kann das, ist das Alltag.
Da müssen wir jetzt protestieren. es gibt trotzdem auch Gegenbeispiele. Der Steve House oder der Hansjörg Auer. Die sind ja nach wie vor extrem unterwegs.
Ja, Steve House ist aber kein typischer Bergführer. Er ist mehr Freelancer im extremen Alpinismus.
Um nochmals auf das Preuß-Zitat Bezug zu nehmen: Sie haben gerade gesagt, sehr gute Kletterer können das, diese Einschätzung zu treffen zwischen dem Können und dem Dürfen.
Ja.
Wie kann man jetzt Ihrer Meinung nach jemanden dafür sensibilisieren, der vielleicht noch kein sehr guter Kletterer ist? Bei unserer Philosophie hat das viel mit Eigenverantwortung zu tun. Das instinktive Wissen, das kann ich.
Ich glaube, das ist das, was man nicht vermitteln kann. Das ist eine instinktive Angelegenheit. Das heißt, mein Selbstwertgefühl – das ist ja die Basis am Ende, die mir erlaubt dies oder jenes zu machen – wächst nur, wenn ich über lange Zeit in Eigenverantwortung agiere.
Wenn ich bei euch mit dem Bergführer lerne und mitgehe, dann werde ich früher oder später selbstständig und dann muss ich viele weitere Schritte machen, bis ich genug Selbstwertgefühl habe um flügge zu sein: Das instinktive Wissen, das kann ich.
Paul Preuß hat nicht bergführermäßig gedacht, er war Kletterer und er hat die Erfahrungen, die er gemacht hat, sehr gut in Worte fassen können.
Der Satz „Das Können ist des Dürfens Maß.“ ist ein großartiger Satz. Er gilt für uns alle, für jeden Politiker, im Grunde für Wissenschaftler, jeden Wirtschaftsführer. Ja, für alle.Also, kürzer hat es noch niemand gesagt! Ich zitiere ihn immer wieder. Ab und zu ohne Anführungs- zeichen, dann schäm‘ ich mich. Denn das Axiom ist von ihm. (lacht) Aber kürzer kann man es jedenfalls nicht sagen.
Wir finden das ja auch – und darum zitieren wir den Satz oft und gerne. Es ist für uns auch der Merk- satz für unser Ziel: Eigenverantwortliche Bergsteiger auszubilden. Leute, die wissen was sie können, und dieses Können vernünftig nutzen.
Das eigenverantwortliche Bergsteigen ist die Königsdisziplin. Und ich fasse das für euch zusammen: Triple-A. (Reinhold Messner zeichnet uns sein Triple A auf und schenkt uns das. Anmerkung ALPS)
Die Amerikaner sagen ja nicht „traditional“, sondern „Trad-Adventure-Alpinism“.Das gefällt mir. Wenn ich mir euren Sommerkatalog anschaue, sehe ich, ihr habt das verstanden. Ich wünsche euch viel Erfolg!
Danke für das Gespräch.
Factbox Reinhold Messner
geb. 1944 in Südtirol, einer der erfolgreichsten Bergsteiger der jüngsten Vergangenheit, entscheidender Wegbereiter des modernen Freikletterns, streitbarer Verfechter eines individuellen und selbstverantwortlichen Alpinismus, Buchautor, Museumsgründer und Betreiber
ALPS intern: Für ALPS ist neben Walter Bonatti, Hermann Buhl und Reinhard Karl der Wegbereiter des modernen entkrampften und entnationalisierten Alpinismus.
Wer mehr über Reinhold Messner erfahren will, dem empfehlen wir folgende Bücher •
Der gläserne Horizont.
BLV, München 1982, ISBN 3-405-12594-4
Der siebte Grad.
BLV, München 1973, ISBN 3-405-11261-3
Berg Heil – Heile Berge?BLV, München 1997, ISBN 3-405-15250-X.Der Philosoph des Freikletterns.Die Geschichte von Paul Preuß.Malik und National Geographic, München 2011, ISBN 978-3-492-40416-7Über Leben.Malik, München 2014, ISBN 978-3-89029-450-6
ALPS Tipps: Die Messner Mountain Museen: www.messner-mountain-museum.it
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